Der „große“ Unbekannte

 

Liebe Schachcomputerfreunde, ich möchte euch hiermit einen Schachcomputer vorstellen von dessen Existenz selbst ich als Fan der ganz alten Fidelitygeräte eigentlich gar nichts wußte. Lediglich eine kurzen Erwähnung mit der Überschrift „Old World Craftmanship“ in einem zeitgenössischen Prospekt, der Anfang der 80‘er Jahre noch häufig Fidelitygeräten beigelegt war, ist mir im Gedächtnis hängen geblieben.

Um das Geheimnis kurzerhand zu lüften: Es handelt sich um den sog. „Decorator Challenger“, Modell FCC.

Folgendermaßen wurde er damals von Fidelity beworben:

Über die Stückzahlen dieses Gerätes ist wie meist bei Fidelity nichts mehr bekannt, aber er dürfte den schon sehr gesuchten „Grandmaster Voice“ an Seltenheitswert noch locker übertreffen. Die Prospektangabe „Available in English, German, French or Spain language“ war wohl auf den Optimismus der damaligen Fidelityoberen zurückzuführen. Meines Wissens war dieses Gerät in Europa nicht erhältlich, was sicherlich auf die geringen Marktchancen zurückzuführen war, da es zu dieser Zeit bei der Konkurrenz schon spielstärkere Geräte gab.

Ich erinnere mich noch gerne an das Jahr 1981 zurück, als ich mit dem Wissen des damaligen Vergleichtests der Stiftung Warentest bewaffnet, zum Schachcomputerkauf die Spielwarengeschäfte in meiner Geburtsstadt Nürnberg abgraste. In einem heute nicht mehr existierenden Geschäft wurde ich dann letztendlich fündig: Jedoch hatte ich für einen in der Glasvitrine ganz hinten, hochkant aufgestellten „Grandmaster Voice“ nur einen kurzem verächtlichen Blick übrig, galt doch mein Begehren dem hinsichtlich Spielstärke laut Testbericht damals besten Gerätes, nämlich dem „Morphy“ vom großen Konkurrenten „Applied Concepts“.

So wie ich, haben damals wahrscheinlich viele Interessenten gedacht und Fidelity hatte nach den erfolgreichen Anfangsjahren, als man sich mit dem „Challenger 10“ und dem „CC Voice“ an der Spitze befand, eine kurze Durststrecke. Erst nach dem Wechsel des Programmiererehepaares Dan&Kathe Spracklen zu Fidelity konnte man mit dem „Challenger Champion“ wieder zur Spitze aufschließen.

Bild1: gut sichtbar sind die Figurenkästen und das eingesetzte Bedienteil, das dem Challenger Voice entspricht.
 

 

Bild2: Die wunderschönen Holzfiguren


Um was für ein Gerät handelt es sich aber nun bei dem „Decorator Challenger“ eigentlich?

Da ich in der glücklichen Lage bin, ein derartiges Gerät vor einiger Zeit bei einer Auktion zu erwerben zu können, möchte ich dem „Riesen“ mal etwas auf den Zahn fühlen. Die optische Ähnlichkeit mit dem „Grandmaster Voice“ ist auf jeden Fall kein Zufall, sondern beide Geräte sind technisch mehr oder weniger baugleich. Lediglich das Gehäuse des ‚Decorators‘ hat ein etwas anders gearbeitetes Edelholzchassis, welches auf kurzen geschwungen Holzfüßen steht und eine ziemlich imposante Erscheinung abgibt.

Als besonders praktisch kann man das nicht bezeichnen, aber das war wohl auch nicht die Vorgabe bei der Entwicklung dieses Gerätes. Ein zur Probe daneben gestelltes Münchenbrett wirkt vergleichsweise so zierlich, daß man meinen könnte ein Exclusivbrett vor Augen zu haben.

 

Spielstärke

Die Gretchenfrage lautet jetzt über 20 Jahre später: Wie stark spielt er denn eigentlich so?

Der Fidelityspezialist Alwin Gruber hatte vor einiger Zeit in seinem viel beachteten Chessbitsartikel die Spielstärke aller Fidelitygeräte vor dem „CC Champion“ als ‚grottenschlecht‘ bezeichnet.

Grottenschlecht? Das kann so nicht ganz unwidersprochen hingenommen werden, wenngleich ich hier zustimmen muß, daß man die Eloeinschätzung der SSDF von etwa 1400 Punkten als nicht gerade berühmt bezeichnet werden darf.

Die Frage stellt sich für mich vielmehr, wie denn der subjektive Spielstärkeeindruck dieser Maschine ist, wenn man sich selber zu einem Match verleiten läßt. ‚Selber‘ definiert sich in meinem Fall als ein ehemaliger Vereinsspieler, der etwa 10 Jahren nach Beendigung seiner Vereinskarriere mit etwa 1700 stagniert, wie mir zumindest die Einschätzung von Fritz suggeriert.

Macht es nun keinen Spaß gegen ein so deutlich schwächer eingeschätzten Gegner anzutreten? Mitnichten! Das Gegenteil ist der Fall. Es macht zumindest mir deutlich mehr Freude den mit seiner blechernen Stimme agierenden Holzkontrahenten niederzukämpfen, als sich von einem stärkeren Gegner in schöner Regelmäßigkeit verprügeln zu lassen. Der Witz bei der Sache ist, das man sich gegen einen Gegner mit dem Kaliber dieses Fidelitys zwar anstrengen muß, um zu gewinnen aber auch bei ein oder zwei schlechten Zügen immer noch genug Gewinnchancen übrig bleiben. Für jemand wie mich, der Schach mittlerweile ohne jeden Ehrgeiz betrachtet und nur noch Spaß beim Spielen haben möchte, ist das somit der ideale Gegner für eine gemütliche Partie.

 

Eine Turnierpartie gegen die GGM von Applied Concepts verdeutlicht die Stärken und Schwächen dieses Programmes:

Decorator Challenger – MGS-3 Grünfeld/ Morphy/ Capablanca

1. e4 c5 2. Sf3 d6 3. d4 cd4: 4. Sd4: Sf6 5. Sc3 e6 6. g4 h6 7. Tg1* Ld7* 8. Le3 Da5 9. Ld3 Sc6 10. Sb3 Dc7 11. Sb5 Dc8 12. Dd2 Se5 13. De2 Sd3: 14. Dd3: b6 15. Sd2 Le7 16. 0-0-0 Db8

Nach 10min Rechnens gespielt.

17. Sc3 zu zurückhaltend gespielt. Besser erscheint es den Druck auf der D-Linie zu erhalten.

b5 18. f3 0-0 19. g5

Diagramm1: Wer kommt zuerst?

hg5: 20. Lg5: b4 21. Se2 Lb5 22. Sc4? Ein typischer Fehler des Decorator den ein Mensch kaum begehen würde. Er begibt sich freiwillig in eine Fesselung und verliert Material.

Tfc8 23. b3 Lc4: 24. bc4: Dc7 25. Lf6: Lf6: 26. Tdf1 Dc4: 27. Dc4: Tc4:

ab hier kommt das Capablancamodul zum Einsatz

28. Tfd1 Tac8 29. Td2 g6 30. h3 Kh8 31. Kb1 g5 32. Tgd1 a5 33. Td6: Tc2: 34. T6d2 Td2: 35. Td2 Td8 36. Tc2 Td1+ 37. Sc1 Tf1 38. Tc7 Kg7 39. Ta7 Ld4 40. Ta6 0-1


Bei einer Schnellpartie auf Stufe 2 mit durchschnittlich 15 sec pro Zug konnte er sich hingegen besser in Szene setzen.

Voice Challenger – Decorator Challenger

d4 f5 2. g3 g6 3. Lg2 Lg7 4. c4 Sf6 5. Sf3 d6 6. Sc3 0-0 7. 0-0 Sc6 8. d5 Sa5 9. Dd3 c5 10. Ld2 a6 11. Tab1 Tb8 12. b4* cb4:* 13. Tb4 Ld7 14. Tfb1 Te8 15. e3 Sg4 16. a3 e5!

Diagramm 1: Durch den folgenden Fehler des Weissen gewinnt Schwarz eine Figur.

17. h3?? e4 18. Se4: fe4: 19. Dc2 ef3: 20. hg4: fg2: 21. Tb6 Sc6
Nun kommt wenigstens eine Figur wieder zurück.

22. dc6: Lc6: 23. Dd3??

Nach diesem Fehlzug ist es endgültig aus für Weiss.
Le4 24. Dd6: Dd6: 25. Td6 Lb1: 0-1

Programm und Hardware

Ich habe mir nun erlaubt das Programm etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

Doch zunächst ein paar Worte zu der Hardware. Es handelt sich um ein 12-K Programm mit 1K Arbeitsspeicher. Abgearbeitet wird das ganze von einer 4 Mhz Z-80 CPU. 12K Rom hört sich nicht nach sehr viel an, da auch noch die Sprachausgabe realisiert werden muß. Die Hardware ist übrigens weder mit dem Vorgänger „Challenger Voice“ noch mit dem „Sensory Voice“ identisch, obwohl das gleiche Bedienteil wie das des „CC Voice“ in das Holzchassis eingebaut ist. Somit wird dem Eingeweihten auch sofort ein großer Nachteil dieses Gerätes deutlich. Es gibt keine Magnetsensoren, sondern schnödes Eintippen der Züge ist angesagt.

Das Programm ist eine Weiterentwicklung des „CC Voice“, ist aber in der mir vorliegenden Version nicht mit dessen Nachfolger „Sensory Voice“ identisch. Positionell spielt er deutlich gesünder und ausgereifter, als sein weitverbreiteter Vorgänger, jedoch hat er in manchen Spielstufen einen Hang zu geschlossen Stellungen und legt dabei eine gewisse Passivität an den Tag.

Der AlphaBeta Algorithmus zur Vorausberechnung der Züge ist bei diesem Gerät, wie auch bei seinem Vorgänger auf maximal 6 Halbzüge limitiert, was sich im Endspiel überdeutlich zeigt, wo er in einfachen Stellungen oft nicht mal die zur Verfügung stehende Zeit ausnutzten kann, da das Rechentiefelimit bereits vorher erreicht wird.

Das Programm führt an den Endknoten seiner Vorausberechnung nicht die bei heutigen Programmen übliche Ruhesuche durch, sondern es wird ein statischer Abtauschalgorithmus angewandt. Dieses Verfahren berechnet alle an einer Schlagkombination beteiligten Figuren gegeneinander auf, was solange ganz gut funktioniert, solange die beteiligten Figuren nicht gefesselt oder überlastet sind, d.h. zum Beispiel zusätzlich eine gegnerische Mattdrohung abwehren.

Zuletzt wurde dieses Verfahren bei Schachcomputern meines Wissens von Dave Kittinger bei seinem Programm Mychess in Novag‘s „Savant“ angewandt, jedoch war genau dies vermutlich der Grund, warum sich der „Savant“ nicht gegen seine zeitgenössischen Konkurrenten wie z.B. den „MK-5“ durchsetzen konnte.

Ansonsten gibt es Spielstufen mit reiner Brute-Force Vorausberechnung und solche auf denen selektiv gesucht wird. Die Selektivität wird dadurch erreicht, daß mit Hilfe der Stellungsbewertung ein Teil der vermeintlich schlechteren Züge des Zuggenerators auf jeder Suchebene vorab aussortiert werden. Der Effekt ist dann der, daß die gewünschte Suchtiefe (auch hier maximal 6 Halbzüge) etwas schneller erreicht werden kann, allerdings auf Kosten der Genauigkeit.

Eröffnung

Wie spielt er nun in der Eröffnung? Zur Verfügung steht hier die gleiche Bibliothek wie diejenige des „CC Voice“ mit 40 Varianten, die etwa 15 Züge tief gehen. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, den man durch frühzeitiges Verlassen der Bibliothek oft zu haarsträubenden Zügen mit den Randbauern oder dem König veranlassen konnte, entwickelt er sich vernünftig, rochiert bald und gibt sich keine weitere Blöße. 

Da ich nicht gerade ein Eröffnungsexperte bin nutze ich auch ganz gerne die Möglichkeit eine Eröffnung über den Code, der im Bedienhandbuch abgegeben ist, eine Eröffnungsvariante vorab auszuwählen und dann gegen den Computer aus der entstandenen Mittelspielstellung anzutreten.

Mittelspiel

Im Mittelspiel zeigt er ab Stufe 2 mit ca. 15 sec. pro Zug schon ganz vernünftige Leistung und übertrifft seinen Vorgänger den „CC Voice“ in einigen statistisch zwar nicht aussagekräftigen, aber subjektiv beurteilten Partien ziemlich deutlich.

Auf den Turnierstufen 5 bis 7 rechnet er in typischen Stellungen etwa 4 Halbzüge tief und ist auch in der Lage zweizügige Matts sowohl zu finden, als auch abzuwehren.

Diagramm 3: Matt in 2 Zügen mit Dh7:+

Obige Mattkombination findet er mit Dh7:+ auf Turnierstufe 7 in ca. 1:30 min.

Endspiel

Im Endspiel wird die Sache nun interessant, da der „CC Voice“ hier gewisse Erwartungen weckt. Schließlich war er der erste Computer, welcher spezielle Endspielroutinen mitbekommen hat und sogar das Springer-Läufermatt so halbwegs beherrscht. Wer nun einwendet, das so etwas doch selbstverständlich sein sollte, der möge mal die Partie des stärksten Brettschachcomputer, des TASC R-30 beim 1. D-A-C-H Turnier 2001 in Kaufbeuren ansehen.

Leider hat sich hier bei dem „Decorator“ gegenüber dem „CC Voice“ eine Verschlechterung ergeben.

Er fängt die Mattführung mit KSL-K zwar ganz vernünftig an und treibt den König zu der richtigen Ecke, aber dann fehlt doch einiges an Konsequenz, so daß der König immer wieder ausbüchsen kann.

Immerhin beherrscht die elementaren Mattführungen inklusive KLL-K auch auf niedrigen Stufen sicher. Das Bergersche Quadrat scheint implementiert, aber wie schon sein Vorgänger ‚vergißt‘ er es gelegentlich.

Da die Programmgröße mit 12K Rom gleich geblieben und das Mittelspiel verbessert wurde, musste wohl aus Platzgründen einiges an Endpielroutinen geopfert werden.

Fazit

Die alten Fidelityschachcomputer aus der Ära von R.C. Nelson haben durch ihr gediegenes Äußeres mit Holzrahmen bzw. Holzgehäuse, sowie der Sprachausgabe und der oft originellen, manchmal auch skurrilen Spielweise eine Ausstrahlung, die zumindest mir bei den nüchternen, technisch oft perfekten Mephistogeräten der 80‘er Jahr gänzlich fehlt. Wie schrieb doch ein Schachfreund kürzlich im Forum über den „Challenger Voice“: „Was für eine Aura das Gerät doch hat...“.

 

Bild 3: Decorator mit allem zeitgenössischen Zubehör

Für weitergehende Fragen stehe ich gerne zur Verfügung:

Wolfgang Rausch

Email: Wolfgang.Rausch

 

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