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1989 war denn auch Garry Kasparov sich nicht mehr so sicher, allen Angriffen des Computerschachs auf lange Zeit hinaus noch gewachsen zu sein: In einem Interview war er zum ersten Mal nachdenklich und sinnierte, daß er wohlmöglich der letzte menschliche Weltmeister sei! Natürlich sind es nicht die gelegentlichen anfängerhaften positionellen Züge, die dem Weltmeister Respekt einhauchten, sondern allein die gewaltigen Rechenmöglichkeiten, die auf eine Tiefe von wenigstens 9 Halbzügen hinaus nichts, aber auch gar nichts übersehen. Deep Thought war es auch, der die Diskussion um die lineare Relation zwischen Rechentiefe und Spielstärke deutlich leiser werden ließ, denn es zeigte sich, daß allein das Abklopfen dieser unglaublichen Menge von Stellungen Großmeisterstärke brachte!

Daß der Superrechner aus Pittsburgh noch viel zu “lernen” hat, zeigte sich dann am 22. Oktober 1989. Garry Kasparov trat gegen Deep Thought an! Und der Weltmeister der Menschen erteilte dem Computer-WM eine Lektion. außerordentlich bemerkenswert war dabei, daß Kasparov dem Computer in der zweiten Partie das Fell mit taktischen Mitteln über die Ohren zog, der ureigensten Domäne der Computer!

(39) Kaspaov,G (2800) - Deep Thought [D20]

[2.Wettkampfpartie, 22.10.1989]

1.d4 d5 2.c4 dxc4 3.e4 Sc6 4.Sf3 Lg4 5.d5 Se5 6.Sc3 c6 7.Lf4 Sg6 8.Le3 cxd5 9.exd5 Se5 10.Dd4 Sxf3+ 11.gxf3 Lxf3 12.Lxc4 ! Hat der Superrechner wirklich uebersehen, dass der Turm wegen Lc4-b5+ nicht zu nehmen ist? Dd8-d6 Eine wesentlich bessere Verteidigung ist nicht zu sehen. 12...Dd6 13.Sb5 Df6 14.Dc5 Db6 15.Da3 e6 16.Sc7+ Dxc7 17.Lb5+ Dc6 18.Lxc6+ bxc6 19.Lc5 Lxc5 20.Dxf3 Lb4+ 21.Ke2 cxd5 22.Dg4 Le7 23.Thc1 Kf8 24.Tc7 Ld6 25.Tb7 Sf6 26.Da4 a5 27.Tc1 h6 28.Tc6 Se8 29.b4 Lxh2 30.bxa5 Kg8 31.Db4 Ld6 32.Txd6 Sxd6 33.Tb8+ Txb8 34.Dxb8+ Kh7 35.Dxd6 Tc8 36.a4 Tc4 37.Dd7 und Schwarz sah keine weiteren Aussichten fuer sich! 1–0

Bereits vor dem Wettkampf hatte das Entwicklungsteam von Deep Thought verkündet, daß für die Zukunft ein wesentlich schnellerer Rechner in Planung sei, der sage und schreibe 1.000.000.000 (eine Milliarde) Stellungen in der Sekunde generieren und bewerten könne!! IBM, das sich große Werbewirksamkeit von einer solchen Maschine verspricht, engagierte Feng-Hsiung Hsu, Thomas Anantharaman und Murray Campbell, die mit noch kleineren Schaltungen und mehr Prozessoren diese gigantische Zahl erreichen wollen! Doch bis heute sind die Ergebnisse eher ernüchternd und die Probleme riesengroß.

Solche Geschwindigkeiten sind in naher Zukunft für Mikros allerdings noch nicht denkbar. Aber wer hätte auch schon gerne einen Computer, der selbst auf der Blitzstufe stärker spielt als ein Großmeister im Turnierschach?!

Bei der Mikro-WM vom 9.-16. September im (ehemals) Jugoslawischen Portoroz jedenfalls war von Großmeisterstärke noch nichts zu bemerken: Sieger wurde, wie erwartet, das jüngste Kind von Starprogrammierer Richard Lang, der spätere Mephisto Portorose. Konkurrenz war praktisch nicht vertreten. Fidelity, Novag, Saitek und CXG blieben der WM fern, so daß keiner ernsthaft am Sieg Mephistos zweifelte, zumal erstmals ein superschneller 68030-Prozessor eingesetzt wurde, der das neue Programm 4-6 so schnell abarbeitete, wie ein 68020er! Doch ein neues Amateur-Programm namens Quickstep von einem unbekannten Programmierer aus Berlin machte durch erstaunliche Leistungen Furore. Die ersten vier Partien gewann es nämlich in großartigem Stil und erst gegen den Mephisto Portorose in der sechsten Runde verlor es seine erste Partie. Nach der siebten Runde reichte die Mephisto-Mannschaft dann einen formellen Protest gegen die Teilnahme von Quickstep ein mit der Begründung, daß es sich bei Quickstep nur um eine Raubkopie Mephisto Almeria handelte. Die Überprüfung des Programmes und das Verhör des vermeintlichen Autors brachten dann Gewißheit! So wurden nachträglich alle Partien des Programmes annulliert und das Portorose-Programm wurde mit 6,5 Punkten aus 7 Partien ungeschlagen Weltmeister. Das eine Remis wurde gegen die neueste Version des Rebel-Programmes von Ed Schröder abgegeben, das Zweiter wurde. Den Titel des besten Amateurprogrammes muß sich Marty Hirschs Programm A.I.Chess mit dem ungarischen Programm Pandix von Gyula und Zsuzsa Horvath teilen, aber es hatte sich gezeigt, daß Martys Programm deutliche Fortschritte gemacht hatte!

Einen üblen Nachgeschmack hinterließ die ganze Affäre um das Programm Quickstep aber dennoch. Die Firma Hegener & Glaser zeigte sich so großzügig, den frechen Raubkopierer hinterher nicht gerichtlich zu belangen und zwar auch dann noch, als dieser es sogar wagte noch nach der WM eine Gegendarstellung der Vorwürfe zu veröffentlichen! Das provozierte schließlich das Gerücht, daß der Berliner vielleicht von Mephisto “eingekauft” war, um die WM durch einen vermeintlichen ernsthaften Konkurrenten ein wenig interessanter zu machen?!

Der einzige ernsthafte Konkurrent Fidelity trat, wie gesagt, nicht an, dennoch war die amerikanische Firma immer wieder in den Schlagzeilen. Einmal hieß es, daß die Firma Konkurs angemeldet hatte, dann wurden wieder neue großartige und innovative Geräte lanciert. Im Herbst 1989 wurde es dann amtlich: Fidelity wurde von Hegener & Glaser aufgekauft und die gesamte Schachcomputerwelt jammerte, daß Mephisto nun so etwas wie ein Monopol auf dem Schachcomputermarkt hätte und die Hochpreispolitik der Firma bei den Spitzengeräten sich noch ewig lange fortsetzen würde... Zunächst konnte Fidelitys alter Chef Sid Samole jedoch die Geschäfte weiter führen wie er es für richtig hielt. So brachte er mit den Elite- Versionen 2 bis 10 (endlich) die Mach III/Mach IV-Programme der Spracklens mit den wunderschönen Gehäusen der alten Elite-Geräte zusammen. Besonders interessant aus historischer Sicht war dabei die Version 5, die als der erste kommerzielle Multi-Prozessor-Schachcomputer der Welt gelten darf. In seinem Innern werkeln nämlich zwei 68000-Motorola- Prozessoren an der Abarbeitung des Programmes. Leider brachte das aber nicht den erhofften Spielstärkezuwachs.

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